Rockabilly-Musiker, was trägst Du? (2)

Während das Angebot an passender Kleidung im klassischen Frauenschnitt schier unerschöpflich scheint – und das gilt insbesondere für Kleidung im originalen Look der 50er Jahre – sieht es bei der Männermode eher traurig aus. V.a. wenn man nicht zu tief in die Tasche greifen möchte oder kann. In Wien sind wir da nicht so gut dran, was authentisch wirkende Herrenmode betrifft. Das Problem können wir hier leider nicht ganz auflösen.
Aber vielleicht finden sich ein paar Anregungen zum kreativen Einkauf oder zur Recherche im Internet – oder noch besser: zur selbsttätigen Änderung und Schneiderei. Wiewohl Hemdenschneiderei nicht zu den einfachsten Übungen gehören dürfte. Aber es gibt ja zumindest viele günstige Änderungsschneidereien in Wien.
Wie schon im ersten Teil dieser Reihe gesagt: Es gibt hier keine Ge- und Verbote. Das gilt besonders bei den Hemden: Es gab in den 50ern nahezu nichts was es nicht gab.


Dennoch müssen einige vorherrschende Klischees die 50er Jahre-Herrenmode betreffend zumindest relativiert werden. Sie stammen sehr häufig aus den 70er, 80er oder 90ern. Viele Filme über die 50er Jahre prägten die Klischees – obwohl sie mehr ein Spiegel des jeweils aktuellen Zeitgeistes waren als der dargestellten Epoche. Manchmal ist Letztere (v.a. musikalisch) kaum noch erkennbar (Grease, Dirty Dancing…). Aktuell ist die Rockabilly-Mode u.a. stark von Reality-TV-Serien aus den USA geprägt. Von „der anderen Seite“ drängte sich in den letzten Jahren auch stark die Swing-Mode der entsprechenden Revival-Welle ins Bild, die allerdings die 30er und 40er Jahre zum Vorbild hat.
Es gibt zwischen den Jahrzehnten freilich fließende Übergänge und nur selten abrupte stilistische Brüche. Außerdem waren die Jahrzehnte in sich selbst nicht gleichförmig. Die frühen 50er waren hinsichtlich Kleidung, Musik oder auch Technikdesign vielfach näher den späten 40er-Jahren. Während das, was wir heute typischerweise mit den 50er Jahren verbinden (Moderne Architektur, Rock´n´Roll, Autos mit Heckflossen uvm.) eher der 2.Hälfte der 50er Jahre entstammt. Die frühen 50er waren in den USA ja noch generell ziemlich bieder und eng, gesellschaftspolitisch wie kulturell: McCarty, Korea-Krieg, Rassentrennung, Frauen-Heim-an-den-Herd. Der Mainstream in Mitteleuropa hinkte dem amerikanischen üblicherweise immer noch ein paar Jahre hinterher.
Zugleich gab es in fast allen Ländern jugendliche Subkulturen wie die Zootsuits, Halbstarken, Schlurfs u.a., die bereits vor der Rock´n´Roll-Welle entsprechende Outfits und Haarschnitte kultivierten.


In der Jugendmode der 50er-Jahre kam es – entgegen heutiger Klischees – manchmal auch zu geschlechtsneutralisierenden Tendenzen: Jeans und boy´s-shirt wurden (zumindest ausserhalb des Elternhauses) mitunter auch von jungen Frauen getragen, wenn sie damit ausdrücken wollten, dass jetzt vorbei mit dem Brav-sein is. In den USA hatte diese Mode-Tendenz ihre Wurzeln bereits in den Kriegsjahren, als das Image von Rosie the Riveter geprägt wurde, der jungen Frau die vornehmlich in der Rüstungsindustrie „ihren Mann stand“, was sich im äußeren Erscheinungsbildes ausdrückte. Zugleich war es ein deutliches Zeichen der Abgrenzung zum militärischen Kurzhaarschnitt der Vätergeneration, wenn sich junge Männer die Haare etwas länger wachsen ließen. Und damit zumindest nach Meinung der älteren Generation „kaum noch von den Mädchen unterscheidbar“ wären. Ein Spiel, dass sich in den späten 60ern, 70ern, späten 80er und frühen 90er Jahren wiederholen sollte. Dennoch blieben Unisex-Kleidungsstücke eher die Ausnahme als die Regel.




Beginnen wir aber in der heutigen Folge bekleidungsmässig ganz oben: Beim Hemd. Also „ganz oben“ ist relativ. Kopfbedeckungen lassen wir mal aus dem Spiel: Hüte oder Kappen waren Ausdruck einer bestimmten Berufs- oder Altersgruppe, wenn auch sehr stark verbreitet. Der Jugendliche oder jugendlich anmutende Mann hat in der Freizeit darauf üblicherweise verzichtet. Damit wurde hervorgehoben, dass man weder am Weg zur Arbeitsstätte, noch gerade in der selbigen, noch am Weg zu einem offiziellen Anlass oder am Weg zu (oder je nach religiösem Bekenntnis gerade in) einer religiösen Einrichtung war. Kopfbedeckungen waren also auf der Strasse sehr häufig gesehen, in einem Jugendclub sehr unwahrscheinlich, als Bühnenoutfit so gut wie nie.
Die bekannteste Ausnahme puncto Kopfbedeckung unter den Musikern muss vielleicht doch erwähnt werden: Gene Vincent´s Band, die Blue Caps. Da waren die hellblauen Schiebermützerl Markenzeichen.


Viele Leute trugen naturgemäß Stile vorangegangener Jahrzehnte, einige wenige (Künstler*innen, Stars) waren ihrer Zeit voraus. Das war selbstverständlich in Zeiten, als Kleidung noch kein Wegwerfprodukt war, sondern meist mühsam in Heimarbeit repariert, angepaßt und umgestaltet wurde.







Bestimmte Hemdtypen tauchen in den verschiedensten Jahrzehnten immer wieder auf. Mit gewissen augenscheinlichen Unterschieden: so variierte die Kragenlänge, in den 40er und 70ern waren Krägen länger, in den 50ern und 60ern in der Regel etwas kürzer.

Wenn wir von passender Kleidung z.B. für eine Rockabilly-Band sprechen, dann müssen wir zuerst mal davon sprechen, welche Funktion bestimmte Kleidungstücke und -schnitte ursprünglich hatten.
Es gab klassische Ausgehkleidung, Auftrittskleidung und es gab Alltagskleidung. Kleidung für Erwachsene und für Jugendliche, und solche die von Pop-Stars getragen wurde. Während es für Jugendliche ein einfaches T-Shirt sein konnte, wird man/frau kaum je einen Rock´n´Roll-Sänger damit auf der Bühne gesehen haben. T-Shirts waren vielmehr als Unterwäsche oder Arbeitskleidung für warme Tage konzipiert. Dass ein solches Kleidungsstück weder besonders hübsch gefärbt noch mit bunten Motiven bedruckt war versteht sich dann eigentlich von selbst. Dennoch gelten heute vielfach bedruckte T-Shirts – vorzugsweise mit der Grundfarbe schwarz – als Rockabilly-Oberteil Nummer eins. Das kann lässig ausschauen oder nicht – Motto-oder Band-Shirts stammen aus den 80ern und 90ern, nicht aus den 50ern.


Ähnlich verhält es sich mit den weithin bekannten „Bowling-Shirts“. Der entsprechende Schnitt war in den USA tatsächlich sehr weit verbreitet, sogar schon in den 1940ern. Es waren die sogenannten kurzärmeligen camp shirts. Das waren eher lässig (manchmal gar nicht in die Hose gesteckt, deshalb auch nicht weit über den Bund hängend) getragene Freizeithemden. Dazu gehörte unvermeidbar der cuban collar, ein ganz typisch geschnittener Reversekragen. Der oberste Knopf wurde nicht verwendet, manchmal gar nicht erst angenäht. Deshalb fand sich auf der gegenüberliegenden Seite kein Knopfloch, manchmal aber ein sogenannter collar loop. Eine Knopfschlaufe, die auch bei anderen typischen 50er-Jahre-Hemdschnitten als Accessoire zur Anwendung kam. Theoretisch konnte der cuban collar also auch geschlossen getragen werden.

Die korrektere Bezeichnung für die heute als bowlingshirts bekannten Hemden wäre wohl panel-shirt. Wobei diese bis auf ganz seltene Ausnahmen nicht schwarz als Grundfarbe hatten. Mir persönlich ist nur ein Hemd von Elvis bekannt, wo schwarz mit rosa gepaart wurde, allerdings nicht im camp-shirt-Schnitt.

Panel-shirts, also Hemden aus zwei (oder mehr) unterschiedlichen Stoff-Panälen, hatten meist eine hellere Grundfarbe. Der Ursprung dieser Idee ist naheliegend: zwei unterschiedliche Hemden wurden „auseinandergeschnitten“ und gemischt zusammengenäht. Im übrigen der Ursprung von Vereinsfarben in den frühen Jahren des Fußballsports, wenn hier auch die Hemden einfach vertikal von oben bis unten auseinandergeschnitten wurden. Naheliegenderweise wurde so häufig weiß die Komplementärfarbe zur Hauptvereinsfarbe. OK – anderes Jahrzehnt…

Varianten des mittelamerikanischen Schnittes sind die Hawaii–shirts oder die Guyabera– (oder Yucatan-) shirts. Letztere fanden nicht nur in Mexiko sondern in der Karibik und den Philippinen sowie den südlichen USA mit oder ohne cuban collar Verbreitung.

Das Hawaii-Hemd ist eine Wissenschaft für sich, zumal es auf jeder Insel und auch in anderen Südsee-Regionen regionaltypische Erscheinungsformen hatte. Jedes Muster hat dabei eine bestimmte Bedeutung. Bestimmte Motive (Schildkröte, Kanu…) deuteten auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kaste hin. Der Schnitt ist in der Regel ein klassisches Camp shirt. In den späten 50ern (Tiki-Style , auch polynesian pop genannt) und besonders mit den Elvis-Filmen in den 60er Jahren wurden die Hawaii-Hemden – meist mit Blumenmotiven – in die ganze Welt verbreitet. Schrille Mehrfarben-Drucke sind allerdings erst in den 80ern und 90ern aufgetaucht. Bei einem ursprünglichen Hawaiihemd gibt es eine Grundfarbe und Deckfarbe, die unterschiedliche Intensitäten (dunkel-hell) haben konnten – was wohl mit traditionellen Stofffärbe-Techniken zu tun hat.

Ein sehr typischer Kragen scheint mit der Spatenkragen (spade collar) zu sein. Über alle Zeiten gängig in der Damenmode, ist dieser in der Herrenmode zuletzt nur in den 50ern anzutreffen. Ursprünglich leitet sich der dieser tief ansetzende, durchgehende Kragen von den Schnitten der Matrosenhemden her, wobei einfach das Lätzchen am Rücken weggelassen wurde.




Sehr aufschlussreich für die klassische Auftrittskleidung ist es naheliegender Weise, sich Fotos der Rock´n´Roll-Stars aus den 50ern anzuschauen. Das gängigste Modell war dabei – auch wenn es langweilig klingt – ein ganz klassisches weißes, bis oben hin zugeknöpftes Hemd mit dünner Krawatte (breite Krawatten gab´s in den 40s), einer Fliege oder cowboy-string-ties.






Wenn ein weniger bekannter Rockabilly-Musiker in einer Kleinstadt im mittleren Westen aus seinem Cadillac gestiegen ist hat er vielleicht lieber ein klassisches Cowboy-Hemd oder lumberjack-shirt mit langen Ärmeln getragen, damit er die Nacht nicht der Zelle des örtlichen Sheriff´s verbringen mußte. Rosa oder hellgrüne Hemden mit bizarren Krägen oder Ausschnitten hätten mancherorts als „zu schwarz“ oder „schwul“ gegolten. Nichts desto trotz – oder gerade deshalb – haben sich die späteren Stilikonen dieser Epoche wie Elvis Presley in Läden herumgetrieben, in denen sonst nur sehr hippe schwarze Leute einkaufen gingen.





Tatsächlich traten nur Country- oder Western-Swing Bands in Cowboy- oder (seltener) Holzhackerhemden auf. Klassische Rockabilly-Musiker wurden damit auch in Ausnahmefällen abgelichtet, v.a. wenn es darum ging die alteingesessene Musiker-Elite in Nashville zu besänftigen. Natürlich gab es viele Musiker, die ursprünglich aus dem Country-Metier kamen, zeitweilig auf der Rockabilly-Welle schwammen und dann wieder nach Hause zurückkehrten, daher im wesentlichen mit Cowboy-Outfits bekannt wurden. Und manche späteren Rock´n´Roll- Stars haben im Country angefangen.
Es gab unheimlich aufwändig applizierte Muster und Verzierungen auf Cowboy-Hemden, die diese zu besonders wertvollen Kleidungsstücken machten und ihre Träger als würdevollen Musiker erscheinen ließen.
Eine seltenere – aber in sehr vielen Varianten produzierte – Hemdform ist das Kurzarm-Hemd ohne Knöpfe, der Einfachheit halber hier Jerry-Lee-shirt genannt. Ähnliche Hemden wurden z.B. auch für Strafgefangen verwendet, jedoch nicht in so schönen Farben. Der tiefe Ausschnitt (schließlich muss auch der Kopf durchpassen) endet wie bei einem Polo-Shirt im Stoff.


Apropos Polo. Es gab in den 50er Jahren natürlich noch eine Vielzahl von Shirts für besondere Verwendung. So hatte jede Sportart ihr typisches Bekleidungsstück. Sportbekleidung (ob Baseball, Rudern, Tennis, Bowling, Skifahren…) wurde später häufig in Freizeitkleidung abgewandelt. In den 50ern war aber – im Gegensatz zu heute (Stichwort: sneakers) – Sportbekleidung und Freizeitbekleidung zwei unterschiedliche Dinge.
Und wichtiger noch: jede Berufsgruppe hatte das ihrige Kleid. Uniformen bzw. einheitliche Dienstbekleidungen waren normal in der Arbeitswelt, der Träger war eindeutig seiner Funktion und seiner Stellung in der Hierarchie zuordenbar. Umso mehr galt es – wie an anderer Stelle schon erwähnt – deshalb bei Freizeit-, Ausgeh- oder gar Auftrittskleidung von dieser Norm abzuweichen.


Ein paar „golden rules“ noch, wenn man stilecht unterwegs sein will: Es gab in den 50ern durchaus schon Kunstfasern und industrielle Vielfarbendrucke. Dennoch waren schwere Baumwollstoffe die Regel. Ebenso waren die Drucke regelmässige wiederkehrende Muster, jedoch so gut wie nie einzelne figurale Motive oder Schriftzüge. Bestickungen gab es v.a. bei Cowboy-, Teamsport- oder in seltenen Fällen Arbeitshemden.


Wer sich an Hemden von der heutigen Kaufhaus-Stange bedient sei nicht zu ängstlich, da gibt es noch viel was es so oder so ähnlich schon in den 50ern gab. Als no-go betrachtet werden müssen allerdings extrem taillierte (slim-fit) Hemden und die heute ebenso sehr gängigen weit nach hinten gezogenenen Haifisch-Kragen (stumpfer Winkel beim Kragenspitz) oder „rounded collars“. Nach dem Krieg war man eher darauf bedacht die unbeabsichtigt schlanken Körper mit breiteren Schnitten zu verhüllen. So ändern sich die Zeiten…

Erlaubt ist was gefällt. Ein bisschen mehr Mut bei der Kleidung von Klischees, heutigem Zeitgeist und Standardmode abzuweichen würde manchem Mann allerdings nicht schlecht stehen.
P.S.: Bei Rockabilly sollte es in erster Linie um Musik gehen, nicht Äußerlichkeiten…
(Admin)

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