Muzak

(bild: ctacupunture.com)

…anlässlich einer weiteren castingshow

„Es ist gut zu wissen, was für ein Scheißdreck „Musik“ heißen kann, eine auf synthetische Belanglosigkeit kalkulierte Klangmasse, die nichts hinterlässt als Vergessen.“

Dieser Satz ist leider nicht von mir, sondern vom schon verstorbenen Roger Willemsen, einem der wachesten Geister der deutschsprachigen Literaturlandschaft. Darf man so etwas sagen? Widerspricht das nicht jeder Toleranz? Wohl nicht, wenn man Musik als Rückzugsgebiet der Moral und als Spielfeld selbsternannter Tugendwächter sieht. Nun gibt es aber Menschen wie z.B. mich, die eine Allergie gegen rhythmische Eintönigkeit, harmonischen Infantilismus, Negierung aller musikhistorischen Fundamente (manche mögen es als Authentizität bezeichnen) oder die „Elfengesänge“ manch eines gecasteten „Superstars“ haben. Eine Allergie, die beinahe körperliche Schmerzen, zumindest aber Unwohlsein auslöst. Musikhören und damit auch empfinden hat für mich auch eine nicht zu unterschätzende charakterliche Komponente.

Wie beim Lesen eines Textes sind wir darauf konditioniert einige Worte „voraus zu lesen“ bevor man das Gelesene ausspricht. Je entwickelter die Lesefähigkeit, desto weiter sind wir fähig voraus zu lesen. Ähnlich verhält es sich beim Hören von Musik. Man hört einige Takte im Geist voraus. Trifft das Erwartete dann tatsächlich ein, fühlt man sich bestätigt. Das kommt natürlich bei mancher Musik öfter vor, bei anderer weniger. Je einfacher und den Hörgewohnheiten der breiten Masse am besten angepasst eine Musik ist, desto breiter wird sie auch akzeptiert. Und nun sind wir bei der von den Tugendwächtern so strapazierten Toleranz. Sind wir tolerant genug, uns auf etwas einzulassen, das wir nicht vorausgehört haben, das vielleicht den musikalischen Horizont im Moment übersteigt oder ist man dem Infantilismus verfallen, alles Neue, Fremde oder den eigenen Vorstellungen widersprechende sofort abzulehnen? Gewiss eine heikle Frage in einem Land, in dem ein Kanzler Routen „dichtmachen“ möchte, wo alles Fremde zunächst skeptisch betrachtet wird und in dem hetzerisches Gegröle als politische Kategorie betrachtet wird. In der Welt des „Musikantenstadeltums“, die sich nur graduell, nicht aber prinzipiell von Castingshows für „Superstars“ unterscheidet, geht es nicht um Empathie oder Wahrhaftigkeit.

Vorgetäuschte Emotion wird als „feeling“ verkauft.Schon der geniale Lennie Tristano erkannte in einem Elaboriat eines mäßigbegabten Instrumentenbesitzers: „too much emotion, no feeling“. Musik soll aber gerade wahrhaftig sein, wirklich nachvollziehbar Gefühle transportieren und Empathie ausstrahlen. Wenn nur noch die Verkaufstauglichkeit, Kompatibilität mit der angestrebten Zielgruppe oder die „Show“ zählen, hat das mitunter folgenschwere Konsequenzen, was man am Beispiel von Amy Winehouse oder Sinead O`Connor gut nachvollziehen kann. Ich könnte ebenso gut Roy Black oder Rex Gildo nennen, die auch massentauglichen Schrott singen mussten und nicht zuletzt daran zugrunde gingen. Wenn Helene Fischer engelsgleich im Minirock von der Saaldecke schwebt und irgendetwas atemlos (im wahrsten Sinne des Wortes) absondert, wird diese knallhart auf kommerziellen Erfolg konzipierte und professionell gestaltete Darbietung als Ausdruck von Gefühl missdeutet. In einem Land, in dem man behaupten kann „Volks-Rock’n’Roller“ zu sein, ohne jemals einen Ton authentischen Rock’n‘ Roll gesungen zu haben und die Menschen glauben das auch noch, und das Publikum in großen Shows noch immer auf 1 und 3 klatscht, hast du es als Rockabillymusiker entsprechend schwer.

sozusagen ziemlich österreichische Unterhose (Bild: lederhose.com)

Nun stellt sich für jeden Musiker die einfache Frage. Wieviel ist mir meine Überzeugung wert. Bin ich bereit bei der fortschreitenden musikalischen Infantilisierung mitzumachen oder halte ich an meiner Musik und meinen Überzeugungen fest, gleichwohl wissend, dass ich damit einer Minderheit angehören werde und kommerziell „nichts drinnen“ ist. Umso wichtiger ist es gerade in solchen subkulturellen Nischen wie der unseren zusammenzustehen und jede persönliche Profilisierungssucht und Gehässigkeiten untereinander zu vermeiden. Eine Plattform wie halbwild.org ist ein Schritt zu mehr Aufmerksamkeit und Akzeptanz in einer Welt von „Granitohren“ und musikalischer Mittelmäßigkeit.

Um zum anfänglichen Zitat von Roger Willemsen zurückzukommen: Es ist keine Schande „Muzak“ (John Lennon prägte diesen Begriff) zu hören, man muss lediglich auch den nächsten Schritt setzen.

(Fritz Weiss)

Ob mit Bohlen, Maske oder nackt: Mit Castingsshows wird die Musikkultur zum Wegwerfprodukt (Bild: wuv.de)

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