Peter Kraus und der „deutsche Rock´n´Roll“

Immer wieder wird man als Rock´n´Roll-Musiker gefragt, ob man denn nicht auf Deutsch singen wolle. Als Vertreter des eher authentischen Klanges unserer Musikrichtung ist es erst einmal selbstverständlich in Englisch zu singen. Gerade auch weil diese Stilrichtung mittlerweile ihre Anhänger*innen in der ganzen Welt zusammensuchen muss (und kann), wäre es dumm das nicht so zu machen. 

Wer sich in erster Linie mit Sprache ausdrücken will, macht das naheliegender Weise in der, die er/sie am besten beherrscht. Vielleicht liegt es daran, dass die Texte in unserer Musik nicht eine so zentrale Rolle einnehmen bzw. häufig als lautmalerisches Element eingesetzt werden (B-B-B-Baby, Be-Bop-A-Lula, Wham-bamm-bumm), warum dieser Aspekt eine eher untergeordnete Rolle spielt. Manche Rockabilly-Bands mit moderneren Stilen haben da weniger Berührungsängste und bauen in ein mehrheitlich englisches Programm ein paar deutsche Nummern ein.

Die kleine Musikwelt in hiesigen Gefielden war über dieser Frage seit jeher aus verschiedenen Gründen gespalten, in den vergangenen Jahrzehnten war das Verhältnis von Rock-Musiker*innen zu „ihrer“ Sprache immer wieder von Ambivalenz bis Aversion geprägt. Die deutsche Sprache war lange eher jenen Musiker*innen vorbehalten, die sie sich ausdrücklich auf Mundartgesang, Protest- bzw. politische Lieder oder deutschen Schlager spezialisiert hatten. 

Trotz oder gerade wegen der Globalisierung der Pop-Kultur v.a. im virtuellen Raum gibt es seit einigen Jahren wieder ein klare Tendenz zurück zur deutschen Sprache. Manch böse Zunge behauptet ja selbst im deutschen Gangster-Rap eine gewisse „Verschlagerung“ herauszuhören. Es gehört mittlerweile zu den Binsenweisheiten des Pop-Geschäfts, dass kommerzieller Erfolg  – und v.a. die dafür notwendige Promotion durch die Kulturindustrie – in unseren Breiten mit wenigen Ausnahmen erst dann realistisch wird, wenn zur deutschen Sprache gewechselt wurde. Doch gehen wir mal zurück zum Anfang.

Historischer Hintergrund

Bis 1945 hatte das „deutsche Wesen“ die halbe Welt in Schutt und Asche gelegt und die deutsche (und österreichische) Jugend aufgehetzt, mit Händen an der Hosennaht erzogen und zum Dank dafür letztlich im Krieg verheizt. Mit der Befreiung durch die Alliierten durften die jungen Leute erst einmal aufatmen und nach neuen Lebensinhalten suchen. 

In den darauffolgenden Jahren waren aber Wiederaufbau, der Ost-West-Konflikt und die Integration der heimkehrenden Soldaten, dann der alten Nazis in die Gesellschaft wichtiger als die Bedürfnisse der Jugendlichen. Spiessertum und Anpassung waren wieder angesagt. 

Es darf daher nicht wundern, wenn junge und weniger angepasste Leute so bald wie möglich nach jedem Strohhalm zu greifen begannen, der nur irgendwie Lebenslust, Freiheit und Sexualität auszustrahlen schien. Die US-amerikanische Popkultur, v.a. durch englisch-sprachige Soldaten bis in unsere Breiten gebracht, versprach nun vieles davon, was bislang unerreichbar schien. 

Spätestens das Auftauchen der heissen und mitunter rauhen Klänge eines Elvis Presley, Bill Haley oder Little Richard versetzten in der zweiten Hälfte der 1950er die deutsche Unterhaltungsindustrie in Angstschweiß und unter echten Zugzwang. Es mußten Kulturprodukte her, die den neuen Bedürfnissen der jungen Leute ent– aber den Erziehungsvorstellungen der Mehrheit der Erwachsenen nicht zu sehr widersprachen. Zudem wollte man naturgemäß verhindern, dass der wachsende Popkulturmarkt künftig von amerikanischen oder englischen Produkten beherrscht würde, anstatt von „eigenen“ deutschen Produktionen. 

Zuerst einmal allerdings mußte die rebellische Attitüde des Rock´n´Roll abgeschliffen werden. Die US-amerikanischen (und v.a. schwarzen) Anklänge sollten zwar in Ansätzen erkennbar sein, aber auch nicht zu sehr dominieren. Schlagerstars und -sternchen sollten frech und witzig daher kommen, zugleich aber in das Wunschbild von idealen Schwiegersöhnen (bzw. -töchter) passen. Dabei hatten die Plattenfirmen auch die mehrfache Verwertungsmöglichkeit durch Musik und Kinofilme mit breiterem Publikum im Auge. Damit es ein eindeutig „deutsches“ Kulturprodukt wurde, war nichts naheliegender als dafür ausschliesslich die deutsche Sprache zu benutzen – von eingestreuten „Babys“ und „Blue-Jeans“ mal abgesehen.

Natürlich konnten und kannten deutsche (bzw. österreichische) Bands auch die US-amerikanischen Originalversionen.  V.a. in Gegenden rund um amerikanische und englische Kasernen wurden diese in Clubs und Spelunken auch zum Besten gegeben. Es gab im „Underground“ einige richtige Rocker, die leider sehr wenige Spuren auf Tonträgern hinterlassen haben (weil es dafür angeblich keinen Markt gegeben hätte). Österreichische Musiker hatten es da mit dem Abzug der Alliierten schon ab 1955 etwas schwerer als deutsche. 

Für´s Radio, die Platte und das Kino gab´s jedoch ausschließlich die deutsche Schlager-Variante. 

Die deutsche Hoch-Sprache, letztlich ja eine künstlich hochzüchtete Nationalsprache, ist klanglich wenig kompatibel mit dem amerikanischen Blues oder Rock´n´Roll. Dialekte und Slangsprachen (Kölsch, Oberbayrisch, Wienerisch etc.) scheinen da manchmal ein wenig passender zu sein, blieben aber wegen ihrer Unverständlichkeit und ihrem Lokalkolorit in anderen Regionen kommerziell lange uninteressant.

Peterchen

Peter Kraus, geboren 1939 in München, aufgewachsen hauptsächlich in Österreich, entsprach in vielerlei Hinsicht dem neuen Ideal der deutschen Kulturindustrie. Er konnte singen, schauspielern und tanzen. Sah mit seinen Pausbäckchen zugleich alles andere als bedrohlich aus, lachte stets und war bereits mit den Abläufen des (deutschen) Showgeschäfts vertraut. 

Der Berliner Produzent Gerhard Mendelson hatte es sich zur Aufgabe gemacht in seinem Wiener Studio junge Sänger mit Rock´n´Roll- Attitüde zu promoten. Zuerst Peter Kraus, dann seinen lange inszenierten Kontrahenten Ted Herold.

Musik-stilistisch sind seine frühen Songs widersprüchlich. 1957 und 1958 wurden bekannte Songs von Gene Vincent, Jackie Wilson, Buddy Knox, Kraus´ US-amerikanischen Pendant Fabian oder der kanadischen Version Paul Anka mit deutschen Texten versehen. Arrangementmässig waren das mitunter am Original angelehnte Cover-Versionen, wenn auch der Sound wesentlich weicher und undynamischer daherkam. Dazwischen kam der damals übliche Schlagerschmus. „Musikalisch orientierten sie sich eher an deutschen Country-Imitaten als am Rock.“ (bear family)

Songtitel wie „Sugar Baby“ klangen amerikanisch genug – die in der schwarzen Bluesmusik übliche und durch den Rock´n´Roll zum Teil übernommene Mehrdeutigkeit der Texte war aber in der deutschen Version nicht mehr vorhanden. „Zucker-Püppchen“ halt. 

Wenn man mal Peter Kraus´ Probleme mit der Aussprache der englischen Texte außer acht läßt, so war das Phänomen des „deutschen Elvis“ wohl beabsichtigt mit „echtem“ Rock´n´Roll in Gang gesetzt worden. Mit Elvis- und Bill-Haley-Liedern war er 1956 vor einer vollen Halle in einem Wettbewerb der Münchner Abendzeitung aufgetreten. „Peter Kraus gab auf der Bühne den Rock ’n‘ Roll-Star. Und die Menge tobte. Dreimal mußte er den Rock-A-Beatin‘-Boogie wiederholen. Das Ganze war als Jazz-Konzert (…) angekündigt worden – und so wurde er auch zunächst als Jazzer in den Medien verkauft.“ (bear family)

Mit „Jazz“ – ein gewisser Peter Alexander hatte diesen Begriff ja schon in den frühen 50ern in zahllosen Heimatfilmen strapaziert – war noch ganz im Sinn der nachwirkenden NS-Propaganda sämtliche als „schwarz“, „jüdisch“ und „amerikanisch“ beeinflußte Musik gemeint. Die in Zeitungsartikeln benutzten – mitunter offen rassistischen – Begriffe machten die verwendete Musik anrüchiger, als sie in Wirklichkeit war. Nunmehr war aber nicht mehr beabsichtigt, damit den deutschen Biedermann zu erschrecken. Vielmehr galt die Behauptung, es handle sich dabei um so was ähnliches wie schwarze Musik als gewichtiges Verkaufsargument beim jüngeren Publikum. 

Reichlich übertriebene Zeitungsberichte über tatsächliche und vermeintliche Ausschreitungen von verrückt gewordenen (weiblichen) Fans oder Gegendemonstrationen von Gralshütern der abendländischen Kultur konnten nur hilfreich sein, das Image des wilden Rockers aufzubauen. Zumal es parallel dazu bei Auftritten von Bill Haley oder Jerry Lee Lewis in Österreich und Deutschland regelmässig tatsächlich zu Saal- und Strassenschlachten mit der Polizei gekommen war.

Auch die sexuelle Anziehungskraft eines Elvis Presley etwa war schon auf dieser Seite des Ozeans wahrgenommen worden. Es gehörte aber auch ganz wesentlich zu seinem Image, daß Peter Kraus als „sympathischer Junge“ bezeichnet wurde. „Sympathischer“ auf jeden Fall als dieser Elvis Presley. „Der Name Schluckauf-Sänger war wohlverdient. Und bei Live-Auftritten ergänzte er seinen Gesang auch noch mit Hampelmann-Sprüngen. Gut, daß Elvis das nie gesehen hat. Doch das kam an – den Teenagern gefiel es“. (bear family)

Die kurze Rock ’n‘ Roll-Phase ging in eine längere Phase von Teenager-Filmen (oft zusammen mit Conny Froboess) samt dazugehöriger Musik über. Denn Peter Kraus „war weder Jazz-Sänger noch ein deutscher Elvis. Die gleichaltrigen Kenner des amerikanischen Jazz und Rock ’n‘ Roll wußten das natürlich ganz genau.“ (bear family)

Titel wie Wenn Teenager träumen oder Teenager Melodie entsprachen viel mehr Kraus´ Geschmack: „Mit den soften Liedern verkauften wir fünfmal soviel wie vorher.“ 

Dennoch blieb an Kraus das Etikett des deutschen Rock ’n‘ Roll-Stars haften. Nach einem durch die Beat-Jahre verursachten Karriereknick wurde er später wieder als Oldie-Star berühmt und ist bis in die heutigen Tage aktiv.

Schlimmer Peter (Bilder: Peter Kraus. Souvenierbuch)

Was bleibt?

Eine interessante Fussnote ist vielleicht, dass der ewig junge Peter Kraus in den vergangenen Jahren mit Song-Interpretationen und Bandbesetzungen gelegentlich näher an den US-amerikanischen Originalen dran war als all die Jahre seiner vermeintlichen „Rock´n´Roll“-Zeit über. Auch sein Englisch hat sich über die Jahrzehnte verbessert. Respekt verdient seine vitale Bühnen-Show trotz fortschreitendem Alters allemal. 

Dennoch bleibt Peter Kraus eindeutig ein integraler Teil des deutschen Schlagers, nicht des Rock´n´Roll. Sein (und Gerhard Mendelson´s) historischer Verdienst liegt wohl darin, in der breiten Öffentlichkeit der späten 1950er mehr Verständnis für die von Peter Kraus repräsentierte Jugend geschaffen zu haben. Das Neue Blatt schrieb dazu: „Er ist modern wie seine ganze Generation, die in Nietenhosen aufwuchs statt in den Uniformen der Luftwaffenhelfer“. Aus dieser Sicht wäre das wohl gar nicht anders (kommerziell erfolgreich) möglich gewesen, als sich an gewisse „Notwendigkeiten“ der deutschen Kulturindustrie anzupassen.

Zugleich sorgte das wohlkalkulierte „Missverständnis“, es könnte sich bei all dem um Rock´n´Roll handeln dafür, dass es in der deutschen und österreichischen Pop/Rock-Musik bis heute auch diese volkstümelnde Schlager-Schlagseite gibt. 

Trauriger Höhepunkt: ein musikalischer Nichtskönner mit mehr oder minder subtilen rechtspolitischen Botschaften darf sich ungestraft und kommerziell höchst erfolgreich „Volks-Rock´n´Roller“ nennen. Andreas Gabalier, ein übler Wiedergänger, der mit karierten Tischdeckerln auf den Chic von Mariandl- und Peter Kraus-Filmen anspielt. Aber abgesehen von einem an die Elvis´ GI-Zeit erinnernden Haarschnitt hat das definitiv nichts mit Rock´n´Roll gemein. 

Das alles kann nicht Peter Kraus´ persönlich angelastet werden, hat aber doch was mit dem von ihm mitbegründeten Phänomen zu tun.

Was in der 50ern mit dem Versuch begann, kommerziell an der Rock`n`Roll-Welle mitzunaschen und doch irgendwie „brav“ und „deutsch“ zu bleiben, endet leider immer wieder mal in der erfolgreichen Wiederkehr des unguten Geruchs, den man dereinst mit amerikanischem Shuffle zu vertreiben gehofft hatte. 

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Literaturhinweise:

Bear Familiy : Peter Kraus. Jahr unbek.

Schindlecker, Fritz und Weber, Stefan: Peter Kraus. Souvenierbuch. Wien: Profil Promotions, Jahr unbek.

(Admin)

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