Immer wieder wenden sich Rockabilly-MusikerInnen hilfesuchend an mich. Zuletzt scheint dies häufiger der Fall zu sein.

4.Sitzung
Die Pandemie hält ungebrochen an. Die Kultur ist für die Regierung – aber auch große Teile der Gesellschaft – immer noch entbehrlicher Luxus. Die Stimmung ist – wenn wir nicht gut eintrainierten Selbsttäuschungen erliegen – nach wie vor schlecht. Idealer Nährboden für einen weiteren halbsinnigen, halbbildenden und halbwahnsinnigen Ausritt von Doc Pressler. Besser halb als gar nix.

Die Stadt verändert sich
Es gab und gibt – wie in den vorangegangen Beiträgen schon ausführlich erörtert – nicht nur Veränderungen in der virtuellen Welt, sondern der ganz realen. Viele Lokale mussten schon vor der Pandemie bzw. den Bekämpfungsmassnahmen der Regierung zusperren oder wurden durch Ketten übernommen. Wir brauchen nun nicht über hellseherische Kräfte zu verfügen um zu wissen, dass es künftig noch weniger Lokale geben wird, in den live-Musik gespielt wird. Wenn es Post-Corona nicht doch eine völlige Trendumkehr, ein Aufwallen der live-Kultur geben sollte – was zumindest im Bereich des Möglichen liegt. Aber eben auch aktiv herbeigeführt werden muss.
Doch dazu hat es in Wien keine Pandemie gebraucht: In immer weniger Lokalen wurde immer seltener und v.a. immer geringer bezahlt live-Musik gespielt. Das Publikumsinteresse nahm mit Ausnahme einzelner Großevents in den letzten Jahren ab und die Veranstalter haben sich kaum um die Mobilisierung des Publikums gekümmert. Das sei nun ausschließliche Angelegenheit der Musiker*innen selbst. Da müssen halt die Oma und die Tante Irmi aus dem Altersheim gekarrt werden und dem Burli sein Racknroll zum fünften mal in diesem Jahr anhören.
Gewisse Ausnahme ist ein live-Musik-Cluster wie der Gürtel, das mit der Bezahlung und der Mobilisierung trifft aber auch auf die Gürtellokale zu. Während die Musik im Rest der Stadt verschwindet, wurde am Gürtel eine künstliche Überfluss-Bubble geschaffen, in der gleich mehrere Lokale zugleich um das Publikum buhlen. Wisch- und Weg-Kultur nicht nur in der digitalen Welt…
Viele (ehemalige) Kultur/Musiklokale werden von Geschäftsführern geleitet, die zugleich eine Reihe von anderen (meist Nicht-Musik-)Lokalen betreiben. Die Eigentümerverhältnisse dahinter sind oft undurchsichtig. Nicht selten geht es bei einem hippen „Kulturlokal“ weniger um die tatsächliche Förderung der Kultur, als vielmehr um die Aufwertung der Gegend, in der davor ein Konsortium oder ein Fond die Zinshäuser aufgekauft hat. Die Kultur muss also mehr zum Schein stattfinden, bis die neuen überteuerten Eigentumswohnungen verkauft worden sind (zu laut soll´s ja dann eh nicht werden in der hippen Wohnstraße). Die nötige „Athmosphäre“ in Lokalen wird LED-Beleuchtung und DJ´s oder überhaupt nur mehr Mp3/Streaming-Endlosschleifen erzeugt. Dazwischen finden gelegentlich Fake-Events statt, von denen meist nur die Ausführenden und ein paar eingeladenen Journalist*innen wissen. Ob Publikum zugegen war ist gar nicht so wichtig, es geht vielmehr um die anschließenden Berichte in den diversen Online-Kanälen und Medien.

Berufsgruppen kommen und gehen…
Nach dieser Pandemie müssen wir freilich damit rechnen, dass dieser Trend vollendet wird: Systemgastronomie bzw. finanziell übermächtige Onlinedienste werden die bisherige Gastronomie zu einem großen Teil verdrängen, zudem werden viele Event-Veranstalter von der Bildfläche verschwunden sein. Vielleicht rückt der/die eine oder andere Glücksritter*in nach.
Das kann einen Musiker schon mal nachdenklich stimmen. Allerdings erinnert sich der eine oder die andere Ältere auch daran, dass es eine Zeit vor den Eventmanagern gab, wo sich die eigentlichen Veranstalter direkt an die Bands gerichtet haben bzw. umgekehrt. Und das hat für die Musiker nicht gerade schlechter funktioniert. Ein ehemaliger Patient von mir – daneben einer der begabtesten Musiker dieser Stadt – hatte junge Musiker immer davor gewarnt sich mit Subveranstaltern einzulassen. „Sie schmälern Deinen Gewinn und mischen sich in künstlerische Fragen ein wofür Du aber nicht extra bezahlt wirst. Nicht selten haben sie von der Musik die sich verkaufen überhaupt keine Ahnung.“
Wie auch immer. Die Eventmanager die diese Krise überleben möchten, täten gut daran die Musikschaffenden künftig mit mehr Respekt zu behandeln (und solche gab es ja mitunter). Weil diese das erzeugen was am Ende verkauft werden soll, idealerweise mit ein wenig Können und ein bisschen Motivation. Das heißt: Es muss wieder um die Musik gehen, nicht (gefakte) Klickzahlen oder virtuelle Optik. Und sie müssen den Auftraggebern klar machen, dass Musiker*innen auch was kosten.

Zu viele Häuptlinge für zu wenig Indianer?
Gerne wird darauf verwiesen, dass die Konkurrenz unter den Musiker*innen eben sehr hoch wäre, weil es so viele Acts gäbe. Nur die bloße Anzahl der Acts ist ein wenig irreführend, wenn man bedenkt, dass oft die selben Musiker*innen unter verschiedenen Namen auftreten und manche in 5 verschiedenen Bands mitspielen um wenigsten hin und wieder Auftritte zu haben. Tatsächlich gab es in der hiesigen Boom-Zeit der „Rock-Band“-Musik, etwa in den 70ern, 80ern oder 90ern wesentlich mehr aktive Musiker*innen (wenn wir mal reine youtube- und Hausmusik aussen vor lassen).
Vielmehr sehen sich viele vormalige Rockabilly-Bands gezwungen nunmehr als one-man- oder two-men-“Bands“ aufzutreten, damit sich das noch finanziell rechnet. Natürlich auch deshalb weil es in Zeiten wie diesen nicht mehr so einfach ist 4 oder 5 Musiker*innen zusammenzuhalten, die auch über die notwendige Sozialkompetenz und Motivation verfügen. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Ein Rockabilly-Song ohne Bass oder Lead-Gitarre ist aber kein Rockabilly-Song mehr. Ich kann auf die Ur-Rockabilly-Besetzung reduziert spielen (3 Leute), darunter ist das ganz sicher auch Musik, aber eben kein Rockabilly.
Nebst dem Bedürfnis den immer geringeren Verdienst auf möglichst wenige Leute verteilen zu müssen, gibt es „natürlicherweise“ einen ausgeprägten Individualismus unter Musiker*innen. Durch die seit einigen Jahrzehnten vorherrschende neoliberale Ich-gegen-die-andern- Grundhaltung in der Gesellschaft scheint „Individualismus“ einen negativen Beigeschmack bekommen zu haben. Es ist aber nicht der Individualismus das Problem, dieser verschwindet sogar mehr und mehr im Einheitsbrei von medial vermittelten Erwartungshaltungen an die Menschen (und eben auch die Musiker*innen). Denn das Menschenbild, dass rund um uns vermittelt wird ist gar kein individualistisches, „man“ neigt heute eher wieder zum Einheitsmenschentum. Nur sind diese Menschen real zunehmend von einander isoliert, mit der Pandemie wird dieses Phänomen noch einmal auf die Spitze getrieben.
Um überhaupt mitspielen zu können mußt Du 45 Kilo weniger haben, ein Duckface-Video nach dem anderen rausschießen, die Lippen aufspritzen und überhaupt aufhören so unangenehm Du selbst zu sein. Außer es kommt wieder mal ein Trend hin zu mehr „Authentizität“, na dann bitte sei mal so richtig cool und smooth „Du selbst“. Also ein Abziehbild, dass nicht gleich als solches erkannt wird. Aber eben doch nur ein Abziehbild, das morgen wieder durch ein anderes ersetzt wird.
Muss sich Musik nicht immer auch mit der Zeit mit verändern? Wohin verändert sich die Zeit nicht nur jetzt oder in der Rückschau, sondern in vielleicht schon naher Zukunft?
Denken Sie darüber nach empfiehlt Ihr Dr. Albert Pressler, und wie mein Freund Danny Kaye zu sagen pflegte: „Es gibt zwei Möglichkeiten, Karriere zu machen: Entweder leistet man wirklich etwas, oder man behauptet, etwas zu leisten. Ich rate zur ersten Methode, denn hier ist die Konkurrenz bei weitem nicht so groß.“

(Albert)
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